Warum führt die Zentrierung auf die Termine
so oft zu einer niedrigen Produktvität ?
Die typische Frage bei einem terminzentrierten
Ansatz lautet: "Kann der Termin gehalten werden?" Oft
lautet die Antwort "Ja, der Termin kann voraussichtlich gehalten
werden.", solange auch nur die geringste Hoffnung besteht,
dass der Termin gehalten werden kann, selbst wenn schon bekannt
ist, dass das Projekt schlecht läuft, die Mitarbeiter auf mehr
Probleme stoßen als gedacht, sie sich oft in Warteschleifen
befinden, kurz, dass die Produktivität schlecht ist. In diesen
Fällen wird beim terminzentrierten Ansatz oft argumentiert,
dass es sich um Anfangsschwierigkeiten handelt, die irgendwann verschwinden,
oder dass man diese Zeit schon wieder aufholen werde. Da aber die
Zeit, die durch schlechte Produktivität verloren wurde, genau
dies ist, nämlich verloren, bedeutet dies eigentlich nur, dass
man glaubt, dass man irgendwann feststellen wird, dass man es sich
leisten konnte, diese Zeit zu verlieren oder genauer gesagt, sie
zu verschenken. Allzu oft muss man jedoch am Ende feststellen, dass
man sich genau dies nicht leisten konnte.
Die Augen vor den Problemen verschliessen
Selbst wenn schon ernsthafte Zweifel an der
Einhaltung des Termins bestehen, wird noch oft bestätigt, dass
er gehalten werden kann, dies dann aber an Bedingungen und Annahmen
geknüpft, von denen bereits erkennbar ist oder zumindest befürchtet
(oder dann auch erhofft) wird, dass sie nicht eintreffen werden.
Beispielsweise an die Bedingung, dass andere termingerecht liefern
oder sich keine weiteren unvorhergesehenen Probleme stellen werden
etc. Und so kommt es, dass oft erst kurz vor dem Termin das ganze
Kartenhaus aus Hoffnungen und Annahmen zusammenbricht und erkannt
wird, dass der Termin nicht gehalten werden kann, womit sich dann
einmal mehr die Regel bestätigt hat, dass, sobald in einem
Softwareprojekt angefangen wird, zu hoffen, Enttäuschungen
die Folge sind.
Oft werden erst an diesem Punkt die Ursachen für die niedrige
Produktivität vom Projektmanagement als Probleme wahrgenommen
und als Anlass zum Handeln erkannt. Aber an diesem Punkt ist es
meistens schon zu spät, um korrigierend eingreifen zu können.
Selbst wenn die niedrige Produktivität schon vorher erkannt
wurde, wird sie oft nicht als Anlass zum Handeln genommen, da ja
der Termin vermutlich (oder hoffentlich) trotzdem gehalten werden
kann.
Der Versuch, durch Zwischentermine Gewissheit
zu erlangen
Oft wird versucht, durch die Einführung
von Zwischenterminen oder durch Abfragen von prozentualen Fertigstellungsgraden
dieser Probleme Herr zu werden und frühzeitig zu erkennen,
ob das Projekt den Zeit- oder Kostenrahmen überschreitet. Aber
auch dies schlägt allzu oft fehl.
Das allzu energische Verfolgen der Zwischentermine erweist sich
sogar oft als kontraproduktiv, denn in diesem Fall wird häufig
mit allen Mitteln versucht, einen Zwischentermin zu halten, selbst
um den Preis, dass vorbereitende Tätigkeiten unterlassen werden,
die zwar entscheidend für spätere Termine sind, aber eben
bedeutungslos für diesen Zwischentermin. Wie weiter unten am
Beispiel des Umgangs mit Dokumenten erläutert wird, führt
dies oft dazu, dass später Mehraufwände auftreten, die
um ein Vielfaches höher sind als die ursprünglich eingesparten
Aufwände. Daher steigt der Kosten- und Zeitbedarf für
das Projekt und die Gesamtproduktivität wird verringert. Obwohl
also das Einhalten des Zwischentermins suggeriert, dass das Projekt
auf einem guten Wege ist, ist das Gegenteil der Fall.
Prozentuale Fertigstellungsgrade abfragen
Auch der Versuch, Prozentzahlen für den
Fertigstellungsgrad abzufragen schlägt oft fehl. Bei einer
Aufgabe, die auf 5 Tage geplant ist, lautet die Antwort nach den
ersten 4 Tagen typischerweise 20%, 40%, 60%, 80%. Wer glaubt, dies
wäre ein gutes Zeichen dafür, dass der Termin auch nur
annährend gehalten werden kann, muss sich in den nächsten
Tagen Stück für Stück eines Besseren belehren lassen,
denn die Antwort in den nächsten Tagen lautet typischerweise
90%, 95%, 98%, 99%. Falls alles gut läuft, lautet die Antwort
am nächsten Tag 100%. Allzu oft lautet die Antwort jedoch,
dass die Arbeiten nicht fertiggestellt werden können, da man
beispielsweise vorher erst noch Lieferungen von anderen erhalten
muss oder weil ein Punkt sich doch nicht wie erhofft lösen
lässt. Dies wird auch ausgedrückt durch die Regel "Für
die ersten 90% werden 90% der veranschlagten Zeit benötigt.
Für die restlichen 10% werden die anderen 90% der Zeit benötigt"
[2].
Die Antwort auf die wichtigste Frage
Daher stellt man im Zusammenhang mit dem terminzentrierten
Ansatz oft fest, dass die wichtigste Frage der Projektleitung, nämlich
die, ob das Projekt termin- und kostengerecht fertiggestellt werden
kann, beim terminzentrierten Ansatz nicht mit ausreichender Sicherheit
beantwortet werden kann und dass die Antwort "Ja, der Termin
kann voraussichtlich gehalten werden" häufig weitgehend
bedeutungslos ist.
Beziehung zwischen Soll- und Ist-Terminen
In vielen Projekten gilt die in der linken Abbildung
durch die rote Linien beschriebene Beziehung zwischen Soll- und
Ist-Terminen. Dabei ist der Soll-Termin der vom Projektmanagement
propagierte und als Ziel gesetzte Termin, der Ist-Termin der Termin,
zu dem das Projekt wirklich fertig ist. Die blaue Linie würde
in dem Fall gelten, dass das Projekt immer genau zu dem Zeitpunkt
wirklich fertig ist, an dem es fertig sein soll. Die rote Linie
beschreibt den realen Fall. Dass die rote Linie für späte
Solltermine (ST H) mit der blauen zusammenfällt, ist Ausdruck
der Tatsache, dass Projekte selbst dann, wenn genügend, ja
sogar zu viel Zeit gegeben wird, dazu tendieren, nicht vor dem gesetzten
Termin fertig zu sein. Wenn man den Soll-Termin dagegen zu knapp
setzt (ST L), wird man feststellen, dass es ein gewisses Minimum
gibt, unter dem es einfach nicht möglich ist, das Projekt abzuschließen.
Dazwischen liegt irgendwo ein optimaler Wert für den Soll-Termin
(ST O), bei dem der Ist-Termin zwar etwas höher liegt als beim
zu knappen Termin (IT L), aber die Qualität des Ergebnisses
besser ist als bei dem zu knappen Termin.
Aus dieser Kurve ergibt sich für das Projektmanagement
die Regel, die Termin lieber zu knapp zu setzen, da bei zu weit
gesetzten Terminen auch der Fertigstellungstermin sich unnötig
hinauszögert. Bei zu knapp gesetzten Terminen dagegen besteht
lediglich das Risiko, dass die Qualität der Arbeit nicht ausreichend
ist, was man aber oft leicht nachbessern kann.
Aufgrund der oben erläuterten Zusammenhänge
gilt für Softwareprojekte allerdings eine andere Kurve, die
in der rechten Abbildung dargestellt ist. Für zu großzügig
gesetzte Soll-Termine gilt wieder, dass der Ist-Termin diesen folgt.
Es gibt einen optimalen Soll-Termin (ST O), bei dem das Projekt
zum frühest möglichen Zeitpunkt fertig ist (IT O). Aber
für zu eng gesetzte Termine (z.B. ST L) gilt diesmal der Effekt,
dass der Ist-Termin (IS L) dramatisch ansteigt. Daraus ergibt sich
als Regel für das Projektmanagement, dass es in Softwareprojekten
sehr gefährlich ist, einen Soll-Termin zu nennen, der früher
als der optimale Soll-Termin liegt, da dies nicht, wie in vielen
Projekten sonst, dazu führt, dass das Projekt früher fertig
ist, sondern im Gegenteil dazu führt, dass das Projekt aufgrund
der oben beschriebenen Effekte sehr viel später fertig wird.
 

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